- Wirtschaftsnobelpreis 1983: Gerard Debreu
- Wirtschaftsnobelpreis 1983: Gerard DebreuDer Mathematiker erhielt den Nobelpreis für die »Einführung neuer analytischer Methoden in die ökonomische Theorie und für die grundlegende Neuformulierung der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie«.Gerard Debreu, * Calais (Frankreich) 4. 7. 1921; 1941-44 Studium der Mathematik, 1945/46 Offizier in der französischen Armee, 1946-48 Mitarbeiter am Centre National de la Recherche Scientifique in Paris, 1950-61 Mitglied der Cowles-Kommission an der University of Chicago, 1955-61 Dozent an der Yale University in New Haven (Connecticut), 1962-86 Professor für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften an der University of California in Berkeley.Würdigung der preisgekrönten LeistungIn einem dezentralen Marktsystem werden Konsumenten- und Unternehmensentscheidungen allein vom Eigeninteresse der Wirtschaftssubjekte geleitet. Schon Adam Smith hat sich 1776 die Frage gestellt, wie die individuellen Pläne, die scheinbar unabhängig voneinander sind, so koordiniert werden, dass Unternehmen ihre Produktionspläne und Konsumenten ihre Konsumpläne realisieren können. Nach Smith sorgt der Preismechanismus bei flexiblen Preisen und Löhnen für die gewünschte Koordination der individuellen Pläne. 1874 stellte der bedeutende französische Wirtschaftwissenschaftler Léon Walras die Theorie von Smith in mathematischer Form dar. Es galt, ein simultanes Gleichungssystem zu lösen, das die Güternachfrage der Konsumenten, das Güterangebot der Produzenten sowie ihre Nachfrage nach Produktionsfaktoren und die Gleichgewichtsbedingung zwischen aggregiertem Angebot und aggregierter Nachfrage berücksichtigt. Er konnte allerdings nicht die Anpassungsprozesse des Systems in Richtung Gleichgewicht aufzeigen. Da alle Größen des Systems simultan bestimmt werden, kennen alle Marktteilnehmer die optimale Lösung. Der so genannte walrasianische Auktionator (unsichtbare Hand) legt anhand der gemeldeten Angebots- und Nachfragemengen den Preisvektor fest, bei dem es zur Markträumung kommt und eine pareto-optimale Allokation der Ressourcen gewährleistet ist (walrasianisches Tâtonnement). Erst nach der Festlegung der Gleichgewichtspreise werden die optimalen Güter- und Faktormengen berechnet. Eine zulässige Allokation ist pareto-effizient, wenn es keine andere zulässige Allokation gibt, die von mindestens einem Haushalt bevorzugt wird.Die Entwicklung der GleichgewichtstheorieWährend Walras aufgrund fehlender mathematischer Hilfsmittel noch nicht in der Lage war, die Existenz eines Gleichgewichts zu beweisen, versuchte Debreu das Problem der Existenz von Gleichgewichten zu lösen. Das Ziel der mathematischen Theorie des allgemeinen ökonomischen Gleichgewichts ist es, die Konsistenz und die Struktur von Marktgleichgewichten zu untersuchen, das heißt, unter welchen Bedingungen ein Gleichgewicht existiert und unter welchen Bedingungen ein solcher Gleichgewichtszustand eindeutig beziehungsweise stabil ist. Kenneth Arrow (Nobelpreis 1972) und Gerard Debreu lösten das Existenzproblem unabhängig voneinander mithilfe der Theorie konvexer Mengen. Bei Existenz eines Gleichgewichts verlaufen Angebots- und Nachfragekurve stetig. Dies erfordert Konvexität in Konsum und Produktion, also die Vorliebe für Mischungen. Gleichzeitig muss die Monotonieeigenschaft gelten — bei hohen Preisen ist das Angebot hoch und die Nachfrage gering. Unter diesen Bedingungen konnten Debreu und Arrow zeigen, wie ein Markt- beziehungsweise Preismechanismus unabhängig von einem zentralen Planer nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage funktioniert. Die Existenz eines Gleichgewichts bedeutet, dass es irgendeinen Preisvektor gibt, der auf jedem Markt Nachfrage und Angebot ausgleicht.So können heute mithilfe Debreus axiomatischer Analyse der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie auch die normativen Eigenschaften effizienter Ressourcenallokation durch den Markt untersucht werden. Hier stellt sich beispielsweise die Frage, ob die Koordinierung von Eigeninteressen durch die »unsichtbare Hand« des Marktmechanismus zu einer effizienten Nutzung knapper Ressourcen führt. Nach Debreu ist zwar bekannt, dass unter bestimmten Umständen solche Effizienzeigenschaften des Preissystems vorliegen, Art und Umfang notwendiger Bedingungen konnten bisher jedoch nicht bestimmt werden.Mit der Berücksichtigung des intertemporalen Tauschs erweiterte Debreu die Allgemeine Gleichgewichtstheorie um den Aspekt der Unsicherheit. Er führte zustandsabhängige Terminverträge (contingent claims) ein, die nicht nur auf einen bestimmten Zeitpunkt, sondern hinsichtlich des Eintretens eines bestimmten Umweltzustands bedingt sind. Dadurch konnte Debreu die bisherige Marktstruktur — bestehend aus einem reinen Kassahandel — vervollständigen. Die Berücksichtigung von Sparen oder Kreditvergabe im Modell führte dazu, dass der Konsum nicht mehr genau der Erstausstattung der Haushalte entsprechen muss, wodurch eine Pareto-Verbesserung gegenüber dem Nutzen der Erstausstattung ermöglicht wird.Debreu intensivierte seine Forschungen während der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre unter anderem mit Untersuchungen über differenzierbare Nutzenfunktionen, die Beschreibung der Überschussnachfrage sowie die Kernkonvergenz einer Ökonomie. Beim Kern einer Ökonomie handelt es sich um ein kooperatives Konzept zur Rechtfertigung der Gleichgewichtstheorie. Hier wird danach gefragt, welche Allokationen implementiert werden, wenn Haushalte beliebige Koalitionen bilden können, in denen sie Güter beliebig tauschen. Der Kern ist die Menge aller Allokationen, die durch keine Koalition verbessert werden kann, und damit eine Teilmenge der Pareto-Optima im Sinne eines Marktgleichgewichts.Eine Kommission mit großem EinflussMithilfe eines Rockefeller-Stipendiums waren Debreu ab 1949 Studien an verschiedenen Universitäten in Europa und den Vereinigten Staaten möglich. Unter anderem besuchte er die Harvard und die Columbia University sowie die Universitäten von Oslo und Uppsala. Bereits im Jahr 1950 wurde er Mitglied der Cowles-Kommission, die von Alfred Cowles, einem Chicagoer Investmentberater, gegründet wurde und sich mit der ökonomischen Forschung beschäftigt. Die optimalen Voraussetzungen, die sich den Mitgliedern der Kommission für die Forschung boten, zogen eine Reihe namhafter Wirtschaftswissenschaftler an. Von den zwölf Amerikanern, die bis zu Debreus Auszeichnung mit dem Nobelpreis bedacht wurden, waren allein sieben Mitglieder der Cowles-Kommission — Gerard Debreu, George Stigler (1982), James Tobin (1981), Robert Klein (1980), Herbert Simon (1978), Tjalling Koopmans (1975) und Kenneth Arrow (1972).R. Füss, G. Vorsatz
Universal-Lexikon. 2012.